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Wir mal wieder Jede Menge offene Rechnungen - die Plattenmeister Label-Story



Manchmal gibt es sie noch, diese enthusiastischen jungen Menschen, die musikverrückt sind, einen anderen Geschmack als "Mainstream" haben und dann irgendwann feststellen müssen, daß die auf dem Plattenmarkt gehandelten Tonträger nicht geeignet sind, ihren Hunger nach frischen, neuen, noch nicht dagewesenen Genüssen fürs Ohr zu stillen.

Ein Teil von ihnen nun findet sich mit der Situation ab, resigniert, seufzt traurig und greift schließlich doch wieder zum Standardrepertoire oder hört seine alten Scheiben, ein anderer Teil schnappt sich ein paar Gleichgesinnte und eine Handvoll Instrumente und probt bis die Finger bluten und der Hauswirt mit fristloser Kündigung droht. Ein paar ganz Wahnsinnige entscheiden sich aber für das Bescheuertste, was es im Rahmen der Independentkultur nur gibt: Sie gründen ein Label. Eines Tages beschlossen in der Stadt Lübeck zwei dieser Wahnsinnigen, eben diesen Schritt zu wagen. Ihre Namen: Kent Nielsen und Ulrich Saltzmann. Ein Name für das zu gründende Unternehmen mußte natürlich auch her, sie nannten ihre kleine Firma schließlich "Devil Dance Records" und brachten nun Platten von Bands heraus, die sich der Gitarrenmusik härterer Gangart verschrieben hatten. Erinnert sich noch jemand an The Posers oder an die Gunslingers (die übrigens mit der Platte, die damals bei Devil Dance Records herauskam, auch mal kurz in den UK-Charts waren)? Den beiden jungen Herren fiel dann auf, daß der Name ihres ebenso jungen Labels doch ein wenig lang war, also wurde er abgekürzt.
Fortan firmierten sie als "D.D.R." für die gitarrenlastigen Sachen (Welcome Idiots, Nil, Donīt Care) und für Ska, Reggae, usw. gründeten sie die Abteilung "Orange Street". Diese Abteilung wird bis heute von nur einer Band getragen, die ganz nebenbei auch der erste richtige Erfolg der Herren Nielsen/Saltzmann war: Messer Banzani. Nebenbei wurde fleißig expandiert, ein Platten laden in Lübeck eröffnet und wieder geschlossen, ein Mailorder gegründet und wieder stillgelegt, und so manche Rechnung, die zu dieser Zeit von Lieferanten, Presswerken, Grafikern und anderem geldgierigen Gesocks geschrieben wurde, harrte eine geraume Zeit der Regulierung. Das lag daran, daß die beiden jungen Herren in ihrem Enthusiasmus bei Neuveröffentlichungen nicht zuerst auf die Marktchancen schauten, sondern einfach das rausbrachten, was ihnen persönlich gefiel. Das führte zwangsläufig zu großen Stapeln interessanter Schallplatten im Keller und diversen anderen Räumlichkeiten, die sich beim besten Willen nicht verkaufen ließen. Um die Verbindlichkeiten nicht in astronomische Höhen anwachsen zu lassen, mußte dringend Geld her. So sah man in der traditionsreichen Hansestadt dann gelegentlich Uli Saltzmann zu nacht schlafender Zeit gen Lübecker Hafen pilgern, um sich säckeschleppenderweise ein Zubrot zu verdienen, bzw. dem einen oder anderen Gläubiger mal den einen oder anderen Hunderter zustecken zu können. Es waren ja, wie bei jedem anderen mäßig erfolgreichen Indielabel, nicht allein die Kosten für die reine Plattenproduktion, die drückten, namhafte Summen gehen natürlich immer dafür drauf, per Marketing (Anzeigen, Promotionplatten, Porto- und Telefonkosten) die Menschen über die Existenz der neuen Erzeugnisse aus dem jeweiligen Hause zu informieren und sie (möglichst) dazu zu bewegen, sich diese doch auch gefälligst im nächsten Plattenladen gegen Vorlage eines gültigen Geldscheins auch anzueignen.
Unsere beiden tapferen Labelbetreiber sahen aber keinen Grund aufzugeben, obwohl der große Erfolg noch auf sich warten ließ und die finanzielle Lage allmählich bedrohliche Formen annahm. Im Jahre 1990 wurde noch einmal ein Neuanfang gewagt, man setzte jetzt auf deutschsprachige Musik und dokumentierte diese Änderung mit einem neuen Namen: Der Plattenmeister war geboren. Erste Veröffentlichung war im Jahre 1991 die Maxi-CD "So isses" der nicht ganz unbekannten Schweriner Band Das Auge Gottes, die dem neuen Label zumindest soviel Aufmerksamkeit einbrachte, daß die Frankfurter Plattenfirma Sony eine nicht unbeträchtliche Summe guten Geldes locker machte, um die Band unter Vertrag zu nehmen - tja, so isses halt: gegen die Kohle der Großen kommt man als kleines Indielabel einfach nicht an. Als nächstes stieß Plattenmeister dann auf die Berliner Künstler Blum und Sohn, die als Herr Blum ihr mit "Unschuldsengel" betiteltes Debütalbum ein Jahr später veröffentlichten. Im gleichen Jahr erschien auf Orange Street die bis da erfolgreichste Scheibe von Messer Banzani, nämlich "Skagga Yo!", die auch heute noch stetig wieder neue Freunde findet und mit der der schon bestehende Kultstatus der Band (besonders im Mittleren Osten dieses Landes) noch ausgebaut werden konnte.
Die nächsten zwei Jahre war dann aus den bereits beschriebenen finanziellen Gründen erst einmal Pause in Sachen Neuveröffentlichungen, Uli ging kaffeesäckeschleppenderweise Geld verdienen, Kent gründete die Folkband Band full of Leroys und in der Zwischenzeit versuchten die beiden, ihrem Laden und dem Mailorder Leben einzuhauchen, was aber, wie wir ja bereits wissen, scheiterte.
Wie sollte es nun weitergehen? Mußten sie beide gar einen reguläre Job annehmen? Und was wollte das kleine dicke pitschnasse Männchen, das an jenem verregneten Herbstabend an die verschlossene Ladentür klopfte, aufgeregt zappelnd und eine Audiokassette in der gichtigen Linken schwenkend?

Woher das Geld kam weiß bis heute kein Mensch

Uli öffnete dem kleinen dicken Männchen, das nur so vom Herbstregen troff und fragte nach dem Grund für das Einlaßbegehren. "Ich habe hier ein Tape mit einer Musik, die so toll ist, daß du sie unbedingt auf Tonträger pressen mußt, es soll auch dein Schaden nicht sein", wisperte es schüchtern. Herr Saltzmann, rustikal wie es nunmal seine Art ist, nahm dem Männchen die Kassette ab (kann man ja vielleicht überspielen) und warf den Trottel raus. Aber zufälligerweise geriet das Band dann doch in den labeleigenen Kassettenrekorder und was dann passierte, kann man nur sehr unzureichend mit "Aha-Erlebnis" umschreiben, "Erdbeben" würde der Sache schon näher kommen... Aus den Lautsprechern ballerte ein infernalischer Metalkrach, der aber offenkundig gesampelt war, und mit recht abstrusen deutschsprachigen Sprachfetzen, sowie HipHop-Beats zu einem Crossover (im wahrsten Wortsinn) verschmolz. Uli nahm sich die beiliegenden Infos und suchte nach Bandnamen und einer Telefonnummer, um mit den Erzeugern dieser Demokassette Kontakt aufzunehmen.
die alte DDR-Crew mit Uli, Stan, Kent u.a. Um die Sache etwas abzukürzen: Man wurde handelseinig, und das Debütalbum von Flugschädel wäre somit im Entstehen gewesen, hätte Uli nur die DM 20.000 gehabt, die er mit der Band als Produktionskosten für die Platte veranschlagt hatte. Aber - oh wundersame Welt - binnen einer Woche befand sich ebendieser Betrag auf seinem Konto. Woher das Geld kam weiß bis heute kein Mensch, und daß Uli zu dieser Zeit angeblich mehrfach gesehen wurde, wie er des Morgens Schrittes aus dem Hause dieser brünetten unscheinbaren Frau kam, die zufälligerweise stellver tretende Filialleiterin der Lübecker Sparkasse ist, das ist mit Sicherheit nur ein übles Gerücht... Auf jeden Fall wurde das Flugschädelalbum ein Erfolg, und das nicht zuletzt durch die limierte Version, deren Verpackung aus zwei Ostzonen-Stahlplatten bestand, über ein Kilogramm schwer, und die, durch ein dickes Gummi gehalten, die CD in sich bargen. Die Art, wie der Plattenmeister mit "seinen" Künstlern umging, gefiel den jungen Flensburger Musikern und so war es nicht weiter verwunderlich, daß sie ihr Wohlwollen nicht für sich behielten, sondern es auch befreundeten Kollegen aus Süddänemark mitteilten. Da gab es ja noch eine HipHop-Crew, die auch langsam mal eine Platte machen wollte. Sie trafen sich mit dem Plattenmeister, fanden ihn ebenso dufte wie seltsam und unterschrieben einen Vertrag, der noch im Jahre ī94 zur ersten Maxi führte. Titel: "Ey, Aller", Name der Band: Fischmob. (Zwischen diesen beiden Platten veröffentlichte Plattenmeister noch die erste CD "Werke" der Bolschewistischen Kurkapelle und das Album der Kultband Fehlfarben mit Thomas Schwebel, namens "Popmusik und Hundezucht", was ich nicht unerwähnt lassen will, es paßt nur gerade nicht in den Flensburger-Kontext.)
Diese Maxi nun sorgte für allerhand Wirbel und war im Norden ein absoluter Hit, die Leute schrien nach mehr und Fischmob gehorchte. Im Jahre 1995 wurde mit dem Titel "Männer Können Seine Gefühle Nicht Zeigen" ein Album veröffentlicht, das nicht nur ein Meilenstein des deutschen HipHop wurde und ist, sondern auch eine der erfolgreichsten Indie-Platten überhaupt. Im gleichen Jahr fing der Plattenmeister an, seinen Labeloutput langsam aber sicher zu erhöhen, und das beileibe nicht mit schlechten Scheiben: Im Jahre 1995 erschien das Debüt der Stader Band 2 Ohm, die ihrerseits bei Flugschädel ganz genau hingehört hatten, die überaus charmanten Linkssentimentalen Transportarbeiterfreunde gaben Ost-Liedgut zum besten, Herr Blum ließ wieder von sich hören, Bastards "Random Mindmachine" ist auch aus eben diesem Jahr. Dann waren da noch Zimbo mit "Itīs Message is friendly" und auch Flugschädel steuerten zum erfolgreichen Geschäfts jahr in der noch jungen Plattenmeistergeschichte einen Tonträger bei: die EP "Othniel" nämlich.
Das Jahr ī95 war aber auch das Startjahr für die zahllosen Neben- und Seitenprojekte unserer bekannten Flensburger Helden. Den Anfang machte DJ Koze, der mit seinem Mitbewohner Marcnesium (ihr wißt schon, der bekannte Grafiker und Stefan Raab-Retter) eine der bescheuertsten Formationen dieses an Absurditäten nicht gerade armen Erdballs ins Leben rief: Adolf Noise nämlich und alleine der Titel ihres Albums "Wunden, s. Beine offen" läßt kaum Wünsche offen, wenn ihr die Nummer "Ginsoleddo" hört (bisher nur auf der Plattenmeister-Compilation "Sozialamt bezahlt doch" zu finden), dann wißt ihr wie ichīs meine... Das Jahr ī96 ging ebenso erfolgreich los, wie das vorherige geendet hatte. Fischmobīs "Schreck licher Sven" bewies, daß er gar nicht so schrecklich ist und lieferte unter seinem Pseudonym Mikolajewicz mit "Gleiche Höhe ist kein Abseits" eine amtliche Ambient/TripHop-Scheibe ab, die es in den VIVA-Jazzcharts (die gibt es wirklich!) bis auf Platz zwei schaffte. Da gratuliert man gern... Bastard ließen mit der MCD "Zing Boom" wieder von sich hören und auch die tschechische Kult-Szenefrau Molly Hartmann konnte mit ihrem Album "Ambient für Berufskraftfahrer" für den Plattenmeister gewonnen werden. Mein persönlicher Favorit aus diesem Jahr sind aber die aus -Überraschung!- Flensburg stammenden beiden Herren von Gunpowder Electrick, die mit ihrer LoFi- Schlager-Pop-Platte "Festplatte" eigentlich längst in einer anderen Liga spielen müßten. Na, vielleicht kommtīs ja noch.
Ein bißchen was fürīs Portemonnaie tat Herr Saltzmann 1996 auch noch, und das nicht nur dadurch, daß er Fischmob für teures Geld und einen Swimmingpool in Gitarrenform an den bösen Major verkaufte, nein, er brachte auch den offiziellen Sampler zur Skateboard-Weltmeisterschaft heraus, auf dem sich alles tummelt, was in dieser Szene Rang und Namen hat. So kann es gehen: gestern noch gramgebeugt und depressiv, und heute schon nicht mehr wissen, wohin mit der ganzen Knete... Ich sagīs ja, wenn ihr ohne zu arbeiten Geld machen wollt, dann gründet ein Label, denn das ist besser als die Lizenz zum Drucken von Telekom-Aktien...

Die PM-Homebase Und das Sozialamt zahlt immer noch!

Das Jahr 1996 ging zuende mit der MCD "Das Jahr Schnee" von den ostzonalen Groovemonstern Herbst in Peking. Dann, der letzte Silvesterböller war noch als Echo zu hören, wartete die Firma Plattenmeister mit einer neuen Entdeckung auf: Es handelt sich um die Drum and Bass-Formation Skrupel aus der Schweiz, einem Land, was bisher musikalisch eher durch Alphornbläser, Kuhglocken, Hairspraymetaller und Paola zu Ruhm gelangte und wo jeder Einwohner einen Geldauto maten und ein Uhrengeschäft im Vorgarten stehen hat. Im Frühjahr ī97 wurde auch bekannt, wem unsere Lieblingsrapper aus dem Süddänischen den Zuschlag für ihr neues Album gegeben hatten: Die Firma Alternation (bekannt durch Fettes Brot und Zam Helga) hatte das Rennen um das heißeste Eisen im Indie-HipHop-Feuer gemacht; ein unbestätigtes Gerücht besagt, daß die Höhe des Vorschusses (es soll sich um eine Summe handeln, die dem Staatshaushalt der Ukraine zur Ehre gereichen würde) unter Ausschluß der Öffentlichkeit auf einem Minigolfplatz verhandelt wurde und daß die Verhandlungspartner die erfolgte Einigung mit einigen Flaschen Jahrgangs-Bacardi begossen haben... wie gesagt, ein Gerücht. Pünktlich?! zur Weltmeisterschaft der bunthaarigen Rollbrettfahrer brachte der Plattenmeister im Juli auch wieder eine CD mit Tracks der angesagten Skater-Lieblinge heraus und verdiente sich mal wieder den Wolf.
Dann wurde es aber Zeit, auch mal was Gutes zu tun. Zugunsten des von einem Aktivbürger aller- übelster Sorte und einem durchgeknallten Staatsanwalt gemeinst an den Rand des Ruins getriebenen Alpha-Comic-Verlages (U-Comix, Schwermetall, Kondom des Grauens, Bullenklöten uvm.) sprach man unzählige Bands an, Stücke möglichst exklusiver Natur für einen Benefiz-Sampler zur Verfügung zu stellen. Das Echo war beeindruckend, kaum eine der angefragten Bands wollte sich diesem hehren Ansinnen verweigern (allein eine als Punx verkleidete Düsseldorfer Hardrockformation wollte nicht mitmachen, mußten wohl gerade wieder Fortuna vor dem Abstieg retten) und so kam ein Lineup zusammen, welches sich gewaschen hatte: Die Ärzte, J.B.O., Fischmob, Tocotronic, Slime, lotte ohm., Cucumber Men, Steakknife und viele andere stellten gratis neue Stücke bzw. Exklusivmixe zur Verfügung; das Ganze gabīs (und gibtīs noch) als CD, Doppel-CD mit Exklusiv-Comic und ein kleines bißchen später auch als 4-fach-Picture-Vinyl zu kaufen. Mitte ī97 stellte Herr Plattenmeister seine erste kleine Werkschau seiner Veröffentlichungen zusammen. Unter dem Titel "Sozialamt zahlt doch" gab es eine pickepackevolle CD zum Nurklauenistbilliger-Preis von um und bei (eher noch billiger). Dann kam mal wieder die Zeit des Fischmobs. Die hatten die letzten Monate still und leise in der elterlichen Schrebergartenlaube so vor sich hingeschraubt und fingen im Herbst an, mit neuen Maxis nur so um sich zu werfen. "Doors of Passion" nannte sich die erste, mit dem eklig- komischen "Dreckmarketing"-Video, dann folgte "Tranquilo" bzw. "Ich hab dich lieb" und den Abschluß bildete eine Acid-Vinyl-Only-Maxi mit dem nach dem legendären Oberhausener halbrechten Verteidiger Kurt "das Beil" Trigger benannten Titel "Triggerflanke". Mittlerweile haben sie auch schon ihr Album "Power" veröffentlichtm, stehen oben in den Charts und kenne ihre alten Kumpels nicht mehr, aber der Erfolg hat sie kein bißchen verändert, sagt der Plattenmeister.
Fortsetzung folgt

(mit freundlicher Genehmigung der INDIGO-Notes und des Herrn Michael Engelhardt) Gehe einen Schritt zurück



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